Predigt von Bischof Manfred Scheuer beim Requiem für Alt-Bischof Reinhold Stecher am 2. Februar 2013 im Innsbrucker Dom:
Dazu der Brief von Bischof Reinhold von 1997, auf den Bischof Manfred verweist. Es lohnt sich, ihn wieder einmal durchgelesen. Er lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Gedanken zum neuesten Dekret über die Mitarbeiter der Laien
Da
ich mir einmal vorgenommen habe, kirchenkritisch notwendige Dinge nicht
als "mutiger Pensionist", sondern im Amt zu sagen, komme ich nicht
daran vorbei, zu diesem Dekret einige Gedanken zu äußern, bevor ich den
Stab weitergebe. Nicht so sehr zu den Details. Da werden ja Dinge
ausgesprochen, die festgehalten werden müssen. Es gibt nun einmal den
mit der Vollmacht zur Eucharistie ausgestatteten Priester - und diese
Vollmacht kann sich niemand nehmen oder von unten her bestätigen lassen.
Und es ist richtig, daß es in diesem Bereich bedauerlichen Wildwuchs
gibt, wenn sich das auch in dem in Rom so oft schlecht gemachten
Österreich in Grenzen hält. Kritisch könnte man zu den Details nur
sagen, man sollte auch im Unterschied von Priester und Laien nicht alles
in einen Topf werfen. Es ist ein Unterschied, ob man z. B. die
eucharistische Vollmacht verteidigt oder die Vollmacht im Gottesdienst
zu predigen. Wenn es - wie heute häufig - zwar noch gelingt, von
irgendwoher einen alten Priester für die Eucharistie "einzufliegen",
dann ist schwer einzusehen, daß man einem theologisch vollausgebildeten
und menschlich-spirituell geeigneten Gemeindemitglied verbieten muß, in
der Eucharistiefeier eine Predigt zu halten (über
Allerheiligen-Allerseelen mußte neulich mein Generalvikar allein sieben
Gemeindegottesdienste als aushelfender Priester feiern!). Ich bin
durchaus dafür, daß zur Verkündigung jemand kirchlich bevollmächtigt
sein muß. Aber die Verkündigung in der Eucharistiefeier zu streichen,
weil man für eine Ansprache unbedingt geweiht sein muß, ist eine andere
Sache. N i e m a n d in den Gemeinden versteht ein derartiges Verbot,
wenn die Alternative das Nichts ist.
Und
hiermit stehe ich bei meinem eigentlichen Bedenken gegen dieses
wiederum nur restringierende Dekret, das den Laien, den Kommunionhelfer
usw. höchstens als widerwillig zugelassenen Notnagel für ein paar
Funktionen sieht, wenn’s halt gar nicht anders geht. Mein Bedenken liegt
in dem "Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der pastoralen Situation bei uns und
in vielen, ja den meisten anderen Ländern der Erde - und in dem
"Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen" der theologischen Bedeutung der Eucharistie
für die christliche Gemeinde und die Kirche. Zu Letzterem spricht in
großer Klarheit der Artikel von Wolfgang Beinert in Heft 11 der "Stimme
der Zeit", Jahrgang 1997, S. 736 ff.
Um
das Dilemma dieses Dekrets etwas plastischer darzulegen: Im Land Tirol
erhob sich vor einiger Zeit das Problem, daß bei der Betreuung der
vielen Zuckerkranken in den Wohnungen und Altersheimen nur
Diplomschwestern berechtigt waren, die entsprechenden rettenden Spritzen
zu verabreichen. Von diesen ausgebildeten Diplomschwestern gibt es
natürlich viel zu wenig. Die Standesgruppe der Diplomschwestern hat
natürlich aus verschiedenen Gründen dieses Standesrecht verteidigt, aber
mit dem Blick auf die Volksgesundheit wurde dann doch entschieden, daß
entsprechend ausgebildete Altershelfer/innen und Betreuer/innen diese
Spritzen geben dürfen. - Die Kinder der Welt sind wahrhaftig klüger als
die Kinder des Lichts. Bei uns geht es auch um das H e i l , allerdings
um das Heil mit einer Dimension in die Ewigkeit. Und bei uns ist es auch
so, daß Diplomhelfer (Priester) viel zu wenige sind und angesichts
unserer klerikalen Alterspyramiden immer weniger werden. Und es ist
weiterhin klar, daß bei der Forderung eines glaubhaft gelebten Zölibates
diese Zahl immer klein sein wird. Für den redlich gelebten Zölibat ist
nun einmal verlangt, daß der Betreffende den sexuellen und
partnerschaftlichen Verzicht in einer gesunden, nicht verdrängenden
Weise umformt in spirituelle, pastorale, soziale, geistige, dienende und
kreative Entfaltung. Das ist und bleibt aber die Sache derer, "die es
fassen können". Und selbst in den Worten Jesu liegt keine Spur einer
Andeutung, daß diese elitäre Zahl den pastoralen und theologischen
Notwendigkeiten einer lebendigen Kirche entsprechen muß. In unserer Zeit
und ihrem Klima ist es noch einmal schwieriger, dem zu entsprechen, wie
z.B. in den Zeiten der Verfolgung durch den Nazismus, in die meine
Berufung gefallen ist.
Es
ist immer etwas problematisch, wenn man an den göttlichen
Heilsabsichten und dem tiefsten theologischen Wesen des Sakraments
vorbei menschliche Ordnungen verabsolutiert.
Das
genannte Dekret über die Laien begnügt sich also mit der Verteidigung
der "Diplomschwestern und Diplompfleger", will sagen der klerikalen
Vollmachten, Würden und Standesrechte. Die Volksgesundheit, d. h. das
Heil der Gemeinden, bleibt völlig aus dem Spiel. Für diese Gemeinden hat
man eigentlich stillschweigend schon längst einen Heilsweg o h n e
Sakramente entworfen - was wiederum jeden auch nur in einer seriösen
scholastischen Theologie Gebildeten den Kopf schütteln läßt. Die
Heilsnotwendigkeit der Sakramente der Eucharistie und Buße bzw. der
Krankensalbung wurde dort sehr eindrucksvoll definiert.
Aber
hier stoßen wir wiederum auf das Dilemma, wenn man die Bedingungen für
das eucharistische Amt in k e i n e r W e i s e vom Heil der Gemeinden
her definiert, sondern n u r von individuellen Zulassungsbedingungen,
die zum Teil eben rein menschlichen Rechtes sind, aber eben o h n e j e d
e n B l i c k auf den allgemeinen Heilswillen Gottes und die wesentlich
eucharistische Struktur der Gemeinde durchgezogen werden. Dem
Festhalten an diesem Amtsbegriff, der eben so n i c h t aus der
Offenbarung erwiesen werden kann, wird alles geopfert. Vor einiger Zeit
hat mir ein wegen seiner konservativen Gesinnung bekannter Bischof
lächelnd gesagt: "Ach, bei uns hat jeder Priester drei Pfarreien - das
geht ganz ausgezeichnet ..." Der betreffende hohe Würdenträger hat
allerdings in seinem Leben nicht einmal e i n e Pfarre geleitet,
geschweige denn mehrere. Wenn er es getan hätte, wäre er mit einer
derart kühnen Analyse wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ich habe in
Frankreich Priester, müde und resignierende Priester kennengelernt, die
sieben bis zehn Pfarreien herumrasend "betreuen". Auch wenn solche
Priester hervorragend theologisch gebildet sind, haben sie keine Chance
je in höheren Etagen mitreden zu können. Der Stand der kleinen
Frontpfarrer wird von der bischöflichen Würde ebenso ferngehalten wie
von jeder Mitsprache in diesem Bereich. So werden die Erfahrungen und
Frustrationen nur von wenigen Bischöfen wahrgenommen und nach oben
getragen. Nach unten begnügt man sich bestenfalls mit verständnisvollen
Seufzern und einer bewegten Klage über fehlende christliche Familien,
die eben zölibatäre Berufe in genügender Anzahl zu fabrizieren hätten.
Und weiter oben begnügt man sich mit der Zementierung vorhandener
Ordnungen wie im vorliegenden Dekret. Die Not dahinter ist kein Thema.
Wenn
beim Dialog für Österreich das Thema kommen wird (falls es nicht
gelingt, es schon vorher in einen Winkel zu verbannen), wird man mit
souveräner Würde darauf hinweisen, daß dieses Thema eindeutig eine Sache
der Weltkirche sei (was ja stimmt) und daher österreichische Gläubige,
Gemeinden, Seelsorger und Verantwortungsträger nichts angehe.
Ich
sage diese Dinge nicht, weil ich gegen den Zölibat bin oder weil ich
mir etwa einbilde, mit dem Stand der "viri probati" gäbe es keine
Schwierigkeiten. Die gibt es überall, wo Menschen sind. Es ist überhaupt
eine unbewußte oder bewußte Fälschung, die hier vorgebrachte Frage als
einen Disput über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen
darzustellen. Die steht nicht in Frage. Das Bestürzende liegt darin, daß
die derzeitige Kirchenleitung einfach ein theologisches und pastorales
Defizit aufweist, so peinlich das zu sagen ist. Das Amt in der Kirche
ist von seinem biblischen Verständnis her ein dem Heile d i e n e n d e s
A m t und kein sakraler Selbstzweck, dem es völlig gleichgültig sein
kann, ob Millionen und Abermillionen von Christen überhaupt je die
Möglichkeit haben, heilsstiftende Sakramente zu empfangen und die Mitte
ihrer Gemeinschaft, die biblisch und dogmatisch die Eucharistie ist, in
einer menschlich erlebbaren Weise zu pflegen. Es heißt eben immer noch:
Propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis" und
nicht "propter nostram auctoritatem et propter stricte conservandas
structuras ecclesiasticas descendit de coelis ..."
Und
man sollte nicht davon ausgehen, daß die Laien und der Großteil der
Seelsorgspriester in Österreich diese Dinge nicht zu durchschauen
imstande sind und daß man sie einfach bei einem Dialog, der ehrlich
gemeint sein sollte, als nichtkompetent abwimmeln kann. Diesen Laien und
eben diesen Seelsorgern verdanken wir zu einem guten Teil im höherem
Maße, daß es eine Kirche Österreichs noch immer und trotz allem gibt -
als manchen römischen Dekreten ...
Die
Tendenz, menschliche Ordnungen und Traditionen höher zu werten als den
göttlichen Auftrag, ist das eigentlich Erschütternde an manchen
Entscheidungen unserer Kirche am Ende dieses Jahrtausends. Es scheint z.
B. niemanden in den höchsten Gremien zu beunruhigen, wenn buchstäblich
Hunderte von Millionen Katholiken gar nicht mehr zu den moralisch
heilsnotwendigen Sakramenten der Vergebung kommen k ö n n e n (- und
weil sie nicht kommen können, nach einer Generation auch gar nicht mehr
kommen w o l l e n ). Die Krankensalbung hätte heute eine Chance -
übrigens auch in der Umwelt einer stärker ganzheitlich -menschlichen
Medizin. Aber der sich im Sakrament zu den Kranken neigende Christus
kann auf Grund der zölibatär-restriktiven Vollmachtserteilung eben zu
Millionen gar nicht kommen. Daß die großzügig verfügte regionale
Pfarr-Zusammenlege-Praxis eine liebevoll begleitende sakramentale
Krankenpastoral unmöglich macht, stört die kirchliche Zentralgewalt in
keiner Weise. Und dabei ginge es wirklich um das H e i l , das ewige H e
i l .
Am
bedenklichsten ist für mich nach wie vor in dieser Frage der Mißachtung
göttlicher Weisungen der Umgang mit Priestern, die geheiratet haben.
Aus e i g e n e r A n s c h a u u n g weiß ich, daß Gesuche, die der
Bischof mit dringenden, pastoral und menschlich begründeten Bitten
einreicht, z e h n J a h r e und mehr gar nicht angeschaut werden. Auch
das neueste Dekret ändert diese Praxis nur marginal. Es handelt sich -
wohlgemerkt - n u r um Bitten der Versöhnung mit Gott und der Kirche, um
die Möglichkeit, eine christliche Ehe zu führen und manchmal auch um
die Möglichkeit, nichtpriesterliche Dienste auszuüben. Auch hier gibt es
nur das unbarmherzige N e i n . Und nun wiederum: Was hat der Herr
gesagt? Hat er nicht die Pflicht zur Verzeihung und zur Versöhnung durch
alle Lehren und Gleichnisse, Taten und bis zu den Gebeten am Kreuz zur h
ö c h s t e n ethischen Pflicht gemacht? Hat er nicht dieses Gesetz des
Verzeihenmüssens mit der härtesten Sanktion belegt? Hat er nicht gesagt
"wer nicht verzeiht, dem wird nicht verziehen"? Hat er nicht dem Petrus
persönlich eingeschärft, daß er nicht siebenmal, sondern siebenmal
siebzigmal am Tage verzeihen sollte? Diese Stelle scheint in römischen
Dekreten nie auf, nur Matthäus 16,18. Alle die, die da so ihre Liebe zum
Papst betonen und sich als die Papsttreuen belobigen lassen - müßten
sie angesichts der Worte des Weltenrichters nicht erschrecken, wenn ein
Papst mit Tausenden von abgelegten Gesuchen und Bitten um Versöhnung
stirbt? Was tun wir an einem Sterbebett, wenn wir wissen, daß der
betreffende Versöhnung verweigert? Versuchen wir nicht, ihn zur Milde zu
bringen, weil es auch um s e i n ewiges Heil geht? Und was hielten wir
von einem Priester, der zu einem Beichtenden sagen würde: "Bei Deiner
Art von Sünde - komm in zehn Jahren wieder, vielleicht bin ich dann
geneigt, Dir die Versöhnung zu gewähren? Ist nicht theologisch evident,
daß die Verweigerung von Verzeihung und Versöhnung die v i e l g r ö ß e
r e S ü n d e ist, als die Verletzung des Zölibats? Die zweite betrifft
ein m e n s c h l i c h e s Gebot und ist eine Sünde der Schwachheit,
die erste ein g ö t t l i c h e s und ist eine Sünde der Härte. Oder
glaubt man vielleicht, juridische Handhabungen in der Kirche
unterstünden nicht den Geboten Jesu? Nimmt man etwa an, daß in der
Ordnung des Weltenrichters Schreibtischtäter besser fahren als
Detailsünder?
Auch
hier zeigt sich diese immer wieder auftauchende Tendenz, die Weisung
Jesu kirchlichen Verwaltungspraktiken und menschlicher
Autoritätsausübung unterzuordnen.
In
diesen Vorgangsweisen liegt auch die eigentliche Einbuße der
päpstlichen Autorität. Denn diese für die Kirche so notwendige Autorität
leitet ihr Gewicht n u r von der Übereinstimmung mit Christus her, wie
es ja auch im innersten Wesen der Unfehlbarkeit zum Ausdruck kommt. Aber
die Geschichte lehrt, daß auch die Praxis des höchsten Amtes von der
Sache Jesu abirren kann. Diese heute gängigen Praktiken gegenüber
Einzelsündern widersprechen dem Geiste Jesu genau so wie einst die
Bannstrahlen und Interdikte gegen ganze Länder und Städte. Und ich weiß,
daß viele Priester und Laien, die ihr Christsein ernst nehmen, unter
diesen Widersprüchen leiden und sich nach einem Papst sehnen, der in
dieser Zeit vor allem die Güte verkörpert. So wie das derzeit ist, hat
Rom das Image der Barmherzigkeit verloren und sich das der
repräsentativen und harten Herrschaft zugelegt. Mit diesem Image wird
die Kirche im 3. Jahrtausend keinen Stich machen – da ändern pompöse
Milleniumsfeiern mit vielen schönen Worten gar nichts. Es geht um
Akzentverschiebungen in einigen entscheidenden Punkten der pastoralen
Praxis, sowohl was den Umgang mit dem allgemeinen Heilsauftrag Jesu als
auch den Umgang mit dem Sünder betrifft.
Und
es darf um der Kirche willen nicht so sein, daß man von höchster Stelle
wohl um jeden Splitter an der Basis bemüht und besorgt ist, aber den
Balken im eigenen Auge nicht sieht.
Auch
wenn ich diese in die pharisäische Auseinandersetzung der Schrift
hineinreichenden Defizite unserer heutigen Kirche beim Namen nenne,
nehme ich von meiner Hoffnung auf das Walten des Geistes und die Zukunft
der Sache Jesu nichts zurück. Aber die Sensibilisierung für die wahren
Intentionen muß in unserer Kirche deutlicher werden. Das Abirren von
solchen Grundsätzen hatte in der Vergangenheit schwerwiegende Folgen.
Auch in dieser Hinsicht müßte die Besinnung des Milleniums Einsicht
bringen.
Dr. Reinhold Stecher Diözesanbischof von Innsbruck
am 33. Sonntag nach Pfingsten, dem Sonntag des Weltgerichts
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