Christ in der Gegenwart
66. JAHRGANG 2014 Freiburg, 30. November 2014
| | | | | | | | Lasst den Dörfern
ihre Kirche | | | | | |
Von
Gerhard Henkel und Johannes Meier
In vielen Bistümern werden aufgrund des Priestermangels
Pfarreien aufgelöst. Die Kirche wiederholt damit die Fehler der kommunalen
Gebietsreformen und zerstört damit das in Jahrhunderten gewachsene Denken,
Fühlen und Handeln der Dorfbewohner für ihre Kirche. Davon sind der
Humangeograf mit Schwerpunkt Land- und Dorfentwicklung Gerhard Henkel und
der Kirchengeschichtler Johannes Meier überzeugt. Ihre Argumente und Thesen
zu den Folgen der Zusammenlegung von Gemeinden sowie zu konkreten
Alternativen stellen wir zur Diskussion.
Immer mehr Menschen entfernen sich von der Kirche. Dieser Prozess wird
durch emografischen Wandel, Priestermangel und offenkundige Missstände in
der „Amtskirche“ verstärkt. Die Kirche reagiert mit Strukturreformen. In
sehr vielen deutschen Bistümern sieht man das Heil darin, den bestehenden
Kirchengemeinden Pfarrei- beziehungsweise Gemeindezusammenlegungen
aufzudrängen oder gar aufzuzwingen. Einwände und Proteste gegen die
Auflösung von Kirchengemeinden werden ignoriert oder kalt abgewiesen.
Die Beseitigung der dörflichen Kirchengemeinden wird das Vertrauen der
Menschen in die Amtskirche weiter erschüttern und die Flucht der noch
Kirchentreuen aus der Kirche - insbesondere auch auf dem Land -
beschleunigen. Durch die von den Bistümern von oben organisierten und
durchgesetzten Gemeindefusionen besteht die große Gefahr der
Entlokalisierung und letztlich Auflösung der - noch in Resten vorhandenen -
katholischen Volkskirche in der Fläche. Kurz: Amtskirche beseitigt
Volkskirche.
Problemfall Bürokratie
1. Gemeindefusionen dienen in keiner Weise der Seelsorge vor Ort oder gar
einem aktiveren Gemeindeleben. Vielmehr beseitigt die Amtskirche so die
Ortsgemeinden und damit die lokale Grundlage der Kirche. Sie eliminiert die
lebendige Einheit von Kirche und Dorf, die vielerorts seit dem frühen
Mittelalter, also seit bis zu 1200 Jahren besteht. Sie stößt mit ihrer
zentralistischen Reform die Gläubigen in den Dörfern vor den Kopf, die im
Selbstverantworten und Mitmachen große Erfahrung und Kompetenz besitzen.
Man bekommt keine Antwort auf die Frage: Was soll sich für die Gläubigen in
den Dörfern verbessern, wenn sie „ihre Kirche“ verlieren, wenn sie keine
lokalen und demokratischen Gremien des Mitgestaltens und Mitverantwortens
mehr haben? Auch unter Landpfarrern sind Unverständnis und Resignation
angesichts der Beseitigung der Ortskirche weit verbreitet. Auf Einwände
wird gar nicht oder von oben herab reagiert mit der Botschaft: „Das
versteht Ihr Landpfarrer nicht.“ Vor Ort vernimmt man nicht selten resignative
Sätze wie: Auf uns hört man nicht, oder auch: Kirche schaufelt ihr eigenes
Grab und schafft sich ab auf dem Land.
2. Die Kirchengebäude, vor Jahrhunderten von Dorfbewohnern errichtet und -
auch in Zeiten der Armut - gepflegt und modernisiert, Mittelpunkte und
Symbole des Glaubens und Gemeindelebens, sollen dem Dorf weggenommen und
einer anonymen Großgemeinde übereignet werden. Derartige Zentralisierungen
zerstören das in Jahrhunderten gewachsene lokale Denken, Handeln und Fühlen
der Dorfgemeinde für ihre Kirche - was ja die Lebendigkeit und Kraft der
„Volkskirche“ ausmacht. Sehen die Verantwortlichen in den bischöflichen
Zentralbehörden diese programmierten Verluste nicht? Zynische Beobachter -
auch unter den Pfarrern - sagen, dass diese Verluste in den
Bistumsleitungen kaum jemand interessieren. Ein Pfarrer aus dem
Westfälischen formuliert: Die Kirche demontiert sich selbst. Unser Problem
sind nicht die Gläubigen und auch nicht die Antichristen, sondern die
kirchlichen Bürokraten. Für einen bekannten Bundespolitiker ist die Kirche
klerikalistisch und nicht auf die Gläubigen ausgerichtet.
Das größte Eigentor
3. Die kirchlichen Gemeindefusionen wiederholen die gravierenden Fehler der
kommunalen Gebietsreformen der zurückliegenden Jahrzehnte in einigen
Bundesländern. Dabei wurden etwa 400000 ehrenamtlich tätige Bürger aus den
Gemeindeparlamenten „wegrationalisiert“. Signalwirkung: Wir brauchen eure
Mitarbeit nicht mehr. Ergebnis: Desinteresse für Kommunalpolitik und
lokalpolitische Ohnmacht. Die gleichen Folgen werden nun auch der Kirche
bevorstehen. Hunderttausende gewählte und ehrenamtlich tätige Christen
würden durch das Wegfallen der lokalen Pfarrgemeinderäte und
Kirchenvorstände nicht mehr gebraucht. Sie gingen der Kirche - wie schon
zuvor in der Kommunalpolitik - unwiderruflich verloren. Sind die
Ortsgemeinden erst ausgelöscht, sinkt die Bereitschaft mitzumachen in den
Dörfern auf null. Ein Landpfarrer aus dem Erzbistum Paderborn drückte es so
aus: Wir würden als Kirche damit das größte und dümmste Eigentor schießen,
das denkbar ist.
4. Der Amtskirche fehlt das Vertrauen in die Gläubigen der Ortskirchen, auf
deren Gefühle, Kompetenzen und Kräfte, und in lokale demokratische Gremien.
Das einseitige Diktieren von Fusionen in verschiedenen Bistümern zeigt, wie
wenig man den Christen vor Ort und der Selbstregulierungskraft der
dörflichen Gemeinden zutraut. Man zentralisiert ohne Rücksicht auf doch
erkennbare Verluste. Warnungen von Landpfarrern und Gläubigen werden
arrogant und kalt abgewimmelt. Warum überlässt man den Ortskirchen nicht
die echte Wahlfreiheit der Entscheidung zwischen Einheitsgemeinden - hier
werden die Ortsgemeinden aufgelöst - und Verbandsgemeinden - hier bleiben
die Ortsgemeinden bestehen - ohne finanzielle und personelle Druck- und
Lockmittel? Die Kirche will und muss zukünftig mehr Gläubige ohne
Priesterweihe in die Seelsorge einbinden. Wie stellt man sich das vor? Man
kann die Laien - auch auf dem Land - nicht mehr für die neuen kirchlichen
Aufgaben halten und gewinnen, wenn man ihnen zuvor die lokale
Kirchengemeinde mit ihren gewachsenen Gremien weggenommen hat.
5. Die Kirche verliert heute immer mehr Gläubige, vor allem im mittleren
und jugendlichen Alter. Dazu tragen zurückliegende und aktuelle Missstände
in der Amtskirche bei, besonders aber deren Verschleierung und Vertuschung.
Dieses Prinzip der Vernebelung zeigt sich auch in einigen amtlichen
Strukturpapieren. Ein Musterbeispiel hierfür ist das Dokument „Pastorale
Entwicklung Kirche am Ort“ des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Auf den ersten
zwanzig Seiten wird mit Engelszungen von Subsidiarität, Ortskirche und
Freiwilligkeit geredet, um dann in einem Satz, den dann schon viele
wohlgestimmte Leser gar nicht mehr lesen, die Katze aus dem Sack zu lassen:
den Zusammenschluss zu einer Kirchengemeinde mit Teilorten. Das
einzige Argument hierfür lautet: Der bisherige Kooperationsverbund der
selbstständigen Gemeinden bietet keinen Rechtsstatus. Salopper geht’s
nicht! Es fehlt jeder Hinweis auf Alternativen. Immerhin befinden sich zehntausende
deutsche Dörfer seit Jahrzehnten als selbstständige Ortsgemeinden in einem
äußerst stabilen Rechtsstatus innerhalb einer Verbandsgemeinde.
Verschwiegen wird, dass man zugunsten der Einheitsgemeinde die bisherigen
Ortsgemeinden auflöst. Über mögliche negative Folgen dieser Auflösung wird
keine Silbe verloren. In einem Radio-Interview mit dem „Westdeutschen
Rundfunk“ erklärte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken Alois Glück: Die Kirche braucht einen anderen Geist, um Menschen
zu gewinnen und auf Menschen zuzugehen: den der Transparenz und nicht der
Vernebelung und des Täuschens. Dies gilt gerade für eine Existenzfrage der
Kirche, die alle Gläubigen angeht.
Alternative: Verbandsgemeinde
6. Es ist durchaus sinnvoll, die bestehenden Kirchengemeinden
organisatorisch miteinander zu vernetzen und von Verwaltungsarbeit zu
entlasten. Dieses kann und sollte man zentralisieren. Aber man braucht dazu
keine Fusionen. Als optimale Alternative zur Einheitsgemeinde bietet sich
die Verbandsgemeinde an. Diese schafft eine starke zentrale Organisation
und Verwaltung und belässt den zugehörigen Ortsgemeinden ihre
Selbstständigkeit, ihr lokales Verantworten und Handeln. Die
Verbandsgemeinde hat sich im kommunalen Bereich - auch als Verwaltungsgemeinde,
Amtsgemeinde oder Samtgemeinde bezeichnet - beispielsweise in den
Bundesländern Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Niedersachsen,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern - bestens bewährt und kommt
den dortigen Dörfern sehr zugute. Gott sei Dank gibt es eine Reihe von
Bischöfen und Bistümern, etwa Osnabrück und Mainz, die sich an diesen
Vorbildern orientieren und die dörflichen Pfarreien mit ihren
demokratischen Gremien in Pfarrverbänden organisatorisch und
verwaltungsmäßig zusammenfügen.
7. Man kann vorhersehen und teilweise schon beobachten, was nach Fusionen
passiert: In den anonymen Großgemeinden können nicht alle Kirchen,
Pfarrheime und Pfarrhäuser „gehalten“ werden. In mehreren „Wellen“ werden
von den zentralisierten Gremien Kirchen geschlossen, entweiht und
verramscht, ohne dass die „unbequemen“ Christen vor Ort noch gefragt werden
oder Einfluss nehmen können. Die Dörfer werden entkirchlicht. Strebt die
Amtskirche dies etwa an mit ihrem kalten Durchsteuern von oben nach unten?
Es wäre der einzige „Sinn“ von Gemeindefusionen, den man - zynischerweise -
einsehen könnte. Die Menschen vor Ort würden niemals auf den Gedanken
kommen, „ihre“ Kirche aufzugeben oder gar zu verkaufen.
Unerhörter Weckruf
8. Die zentralen Raumordner im Umfeld der Bischöfe argumentieren gerne mit
den Kosten. Manchmal heißt es auch, man wolle die Kirche „demografiefest“
machen. Hehre und hohle Schlagwörter, die Wesentliches außer Acht lassen.
Einheitsgemeinden sind keineswegs kostengünstiger als Verbandsgemeinden.
Nach der kommunalen Gebietsreform sind die Kosten in Fusionsgemeinden durch
die fehlenden lokalen Gremien und das wegfallende Engagement der Bürger
gestiegen. Die Kosten würden auch in kirchlichen Fusionsgemeinden - im
materiellen und immateriellen Bereich - steigen, weil sich weniger Gläubige
engagieren. Aber selbst wenn man die Zusammenlegung kostenneutral
„berechnen“ würde - wie wäre die tatsächliche „Wertebilanz“ für die Kirche,
wenn man damit das kirchliche Gemeindeleben in den Dörfern auf null fährt?
In der Volkswirtschaft, die bisweilen auch die sozialen und kulturellen
Kosten mit einbezieht, würde man hier von herben Verlusten oder auch einem
Desaster sprechen.
9. Strukturreformen sollten vor allem die Seelsorge und das Mitmachen vor
Ort wieder stärken, was in Zeiten zunehmender Kirchenferne - auch auf dem
Lande - schwer genug ist. In diese Richtung gehen auch die Appelle von
Papst Franziskus, die sich gegen eine selbstbezogene, bürokratisch
verkrustete Amtskirche richten und von den Christen - auch von den
Evangelischen - mit großer Hoffnung auf einen „Klimawandel“ angesehen
werden. Der Papst will das für die Kirche existenziell wichtige
Subsidiaritätsprinzip verstärkt auch im Inneren der Kirche angewendet
wissen: mehr Vielfalt, mehr Zutrauen und Vertrauen in die unteren
Entscheidungsebenen. Weniger Bevormundung, weniger zentrale Lösungen und
Vereinheitlichungen auf Biegen und Brechen. Konkret soll so viel wie
möglich auf der Ebene der Gemeinde verantwortet und getan werden - eine
Aufforderung zu einer „Hingeh-Pastoral“ statt zu einer „Weggeh- oder
Rückzugspastoral“. Nehmen die deutschen Bischöfe diese Appelle des neuen
Papstes nicht wahr? Selbst unter katholischen Pfarrern und Theologen
vernimmt man immer häufiger, dass die Bischöfe die Weckrufe des Papstes an
ihre eigene Adresse nur ungern hören und auf stur schalten.
10. Kommt es zu den Fusionen von Kirchengemeinden, werden die bestehenden
Defizite der Landpastoral nur vergrößert. Von den (mobilen) Christen wird
demnächst verlangt, aus bis zu einem Dutzend oder mehr Dörfern einmal pro
Woche in eine „Zentralkirche“ zum Gottesdienst des dort residierenden
„Zentralpfarrers“ zu fahren. Ansonsten bleiben sie - ihre alte
Kirchengemeinde ist aufgelöst, ihre alte Dorfkirche entweiht und verkauft -
sich selbst überlassen. Ist das gewünscht? Stärkt dies die Präsenz des
Evangeliums in unserer Gesellschaft?
Leitbild Bürger
11. In unserer Gesellschaft gibt es - nicht nur in der Jugend - ein
wachsendes Unbehagen an der Praxis der Demokratie. Durchsteuern von oben
nach unten ist nicht zeitgemäß. Positive Werte wie soziales Miteinander,
Transparenz, Fairness und Vertrauen sind den Menschen heute wichtig. Das
könnte der Kirche zugutekommen, wenn sie denn will. Das Gemeindeleben in
Kommunen und Kirchen wird in Zukunft mehr denn je auf das Mitgestalten und
Mitmachen der Bürger vor Ort angewiesen sein. Als Leitbilder gelten
Bürgerkommune und Bürgerkirche. Hat die Kirche kein Vertrauen in die lokale
Basis, in die Möglichkeiten der Bürgergesellschaft? Will sie stattdessen
alles zentralistisch regeln?
12. Die Verantwortlichen in den deutschen Bistümern müssen sich fragen
lassen, welche Lehre der Kirche ihr Denken bestimmt. Fast immer ist ihre
Planung abhängig von einer Hochrechnung der in den kommenden zwei
Jahrzehnten verfügbaren Diözesanpriester. Dies ist eine kleruszentrierte
Ekklesiologie. Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Gegensatz dazu in
seiner dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ sehr
bewusst ein Kapitel über das Volk Gottes dem Kapitel über die hierarchische
Verfassung der Kirche vorangestellt und damit der Ortskirche den höchsten
Stellenwert zuerkannt.
Was Papst Franziskus möchte
13. In diesem Sinne äußert sich auch Papst Franziskus in seinem
Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (Freude des Evangeliums). In
mehreren Abschnitten sagt er zur missionarischen Umgestaltung der Kirche:
„In der Treue zum Vorbild des Meisters ist es lebenswichtig, dass die
Kirche heute hinausgeht, um an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne
Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden. Die
Freude aus dem Evangelium ist für das ganze Volk, sie darf niemanden
ausschließen“ (23). „Es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der
Evangelisierung beeinträchtigen können; gleicherweise können die guten
Strukturen nützlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie
unterstützt und sie beurteilt. Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium
beseelten Geist, ohne ‚Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung‘
wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben“ (26). „Die Pfarrei
ist keine hinfällige Struktur. Sie wird … weiterhin die Kirche sein, die
inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt. Durch all ihre
Aktivitäten ermutigt und formt die Pfarrei die Mitglieder, damit sie aktiv
Handelnde in der Evangelisierung sind“ (28). „Der Bischof muss immer das
missionarische Ideal in seiner Diözese fördern … Darum wird er sich
bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen und die Hoffnung des
Volkes aufrechtzuerhalten, andere Male wird er einfach inmitten aller sein
mit seiner schlichten und barmherzigen Nähe, und bei einigen Gelegenheiten
wird er hinter dem Volk hergehen, um denen zu helfen, die zurückgeblieben
sind, und - vor allem - weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um
neue Wege zu finden. In seiner Aufgabe, ein dynamisches, offenes und
missionarisches Miteinander zu fördern, wird er die Reifung der vom Kodex
des Kanonischen Rechts vorgesehenen Mitspracheregelungen sowie anderer
Formen des Dialogs anregen und suchen, in dem Wunsch, alle anzuhören und
nicht nur einige, die ihm Komplimente machen“ (31).
14. Die Gesellschaft braucht die Kirche, der ländliche Raum braucht die
Kirche. Aber die Kirche nimmt dies und ihren Auftrag zu wenig wahr. Sie
muss auf die Menschen zugehen und sie mitnehmen, sie muss sich öffnen und
Transparenz zeigen. Durch Diktate und zentralistische „Reformen“ gewinnt
die Kirche nichts, aber zerstört fast alles. Sie schwächt damit vor allem
die breite ehrenamtliche und demokratische Basis einer zukünftigen
Mitmachkirche. Kennen die zentralen Planer in den Bischofssitzen das Dorf
und seine Menschen wirklich? Von einem deutschen Bischof soll die Aussage
stammen, dass Dörfer doch sowieso nur noch Schlafdörfer seien. Wenn das die
Meinung der Kirche ist, hat sie keine Ahnung vom Dorf und seinen Menschen,
von der Mitmach- und Anpackkultur, von der Kompetenz, gemeinschaftlich
Verantwortung zu tragen, vom hohen Bildungsstand und nicht zuletzt auch
seiner Kirchentreue.
Positives Kirchturmdenken
15. Mit der Auflösung der Ortspfarreien schadet die Kirche nicht nur sich
selbst, sondern auch dem Land und seinen Menschen. Das Dorf würde damit
einen tiefen, existenziellen Verlust erfahren: Es verliert seine älteste
und über Jahrhunderte intensiv mit Leben gefüllte, selbst organisierte und
getragene gemeindliche Institution. Es verliert seine geistliche,
kulturelle und soziale Mitte und damit den Kern seiner lokalen
Identifikation. Es verliert vielerorts die letzte Bastion der lokalen
Selbstverantwortung und macht damit das sprichwörtliche Kirchturmdenken in
positivem Sinne überflüssig, was Dörfer bisher ausgezeichnet hat. Es
verliert das Innigste, was ihm die Zentralen bisher noch nicht weggenommen
haben - nach Schule, Post und Bürgermeister. Es verliert sein Herz. Kann
dies der Kirche gleichgültig sein?
Gerhard Henkel, Dr. rer. nat., Professor für Geografie an der
Universität Essen, lebt in Fürstenberg/Westfalen; zuletzt erschienen: „Das
Dorf. Landleben in Deutschland - gestern und heute“ (Stuttgart 2012).
Johannes Meier, Dr. theol., Professor für Mittlere und Neuere
Kirchengeschichte und Religiöse Volkskunde, Mainz.
CIG 46/2014
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